junge digitale bilderkunst 20 |
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LINE-ART: Zeichnungen aus Algorithmen Denkt man in einem künstlerischen Zusammenhang an Zeichnungen, dann sind in aller Regel Werke gemeint, die ihre Entstehung der zeichnenden Hand eines Künstlers verdanken. Die Zeichnung, die sich aus Strichen aufbaut, die Linien, die Spuren des Stiftes auf einem Bogen Papier sind auch Gegenstand der hier gezeigten Blätter, wenngleich der zeichnende Stift nicht von einer Hand geführt wird. Der Stift (Bleistift, Kugelschreiber, Tuschestift) wird von einer Maschine (einem Plotter) geführt, der von einem Rechnerprogramm getrieben wird. Dieses Programm hat seinerseits Strukturen, mit welchen eine bestimmte Art von Linien erzeugt werden kann. Das Universum dieser Linien ist sehr viel begrenzter als dasjenige, das eine mit einem Stift bestückte Hand spontan zuwege bringen kann. Und doch wird auch das, was die Hand auf dem Papier alles anrichten kann, teilweise fassbar durch etwas, das sich ebenfalls als ein "Programm" bezeichnen lässt. Ich nenne als Beispiel für ein solches "Programm" einen Satz wie: "Kurz und heftig geführte Striche zeichnen". Damit wird unmittelbar klar, was ich darunter in diesem Zusammenhang verstehe. Viele solcher Programme können in ihrer Gesamtheit ein Universum der Ausdrucksmöglichkeiten der zeichnenden Hand definieren. Eine gewisse Typologie solcher "Programme" finden wir in den Übungen der Grundlehren an den Akademien. Für diese Art von "Programm" ist eine gewisse verwandtschaftliche Nähe zu den Computerprogrammen herzustellen. In beiden Fällen handelt es sich um Anweisungen zum Handeln, die auf ein gut definiertes Ergebnis zusteuern. Es ist deshalb nicht uninteressant, die Produktionsprozesse der zeichnenden Hand mit denen der zeichnenden Maschine zu vergleichen. Bei einer solchen Gegenüberstellung lassen sich die jeweils einzigartigen Bedingungen beider Prozesse drastischer voneinander abgrenzen. Für die freie Hand gilt:
Für die zeichnende Maschine gilt:
Ich habe hier nur einige der ganz offensichtlichen Merkmale beider Prozesse skizziert und ich will die angesprochene Gegenüberstellung nicht im Detail ausführen. Dass die Striche zeichnende Hand Über ein Universum an bildnerischen Möglichkeiten verfügt, haben wir gesehen. Lassen sich die zeichnenden Maschinen ähnlich verwenden? Dabei denke ich an die Möglichkeiten der Plotter, also an eine ganz bestimmte Art von zeichnender Maschine. Der einfachste Fall für eine maschinengezeichnete Linie ist der von einem definierten Punkt ausgehende gerade Strich. Die in dieser Ausstellung gezeigten Plottergraphien basieren alle auf Polygonzügen, das sind zusammenhängende Linienzüge, die sich aus geraden Liniensegmenten zusammensetzen. Die Polygonzüge sind also ein Experimentierfeld, um sich den Möglichkeiten der geplotteten Linie zu nähern. Man kann das, was zu den Polygonzügen zu sagen ist, gedanklich erweitern und auf die anderen Linienarten wie Bogen, Spline usw. Übertragen. Einige Parameter, die man zur Beschreibung der Polygonzüge ganz rasch entdeckt, zeigen sich bei der Analyse eines beliebigen Polygonzuges. Es sind die Anzahl der Segmente, aus der sich der Linienzug zusammensetzt, seine gesamte Länge, die relative Länge der einzelnen Abschnitte zueinander, die Variationen der Winkel, die man an jedem Knickpunkt zulassen will und die Anfangswinkel gegenüber der gedachten x-Achse. Will man erreichen, dass in den Zeichnungen bestimmte Flächen keine Linien enthalten, kann man auf die Methoden des "clipping" zurückgreifen. Dabei werden beliebig umrissene Flächen innerhalb einer Zeichnung freigestellt. In eine "clipping-Zone" wird also nicht gezeichnet. Überschneiden sich zwei clipping-Zonen, so entspricht dies einer doppelten Verneinung "nicht (nicht zeichnen)", was gleichbedeutend ist mit "(zeichnen)". Es können sich beliebig viele solcher Zonen Überschneiden. Ist deren Anzahl gerade, wird gezeichnet, ist sie ungerade, wird nicht gezeichnet. Der "Widerstand des Materials" ist für die geplottete Linie sehr viel höher als für die mit der Hand gezeichnete Linie. Zwischen die Idee und das Ergebnis schiebt sich hier das Programm. Es muss entworfen, geschrieben und getestet sein, ehe man damit Striche machen kann. Will man etwa das Thema "Von Ordnung zu Unordnung zu Ordnung" zeichnerisch darstellen, so muss man sich vorstellen, welche Veränderungen an Ordnung schließlich zur Unordnung führen können und sich die möglichen Interpretationen erarbeiten. Die Abfassung eines Programms zwingt zur Präzision und dieser Zwang fördert die Erkenntnisprozesse für die Wirkung der eingesetzten Mittel. Der Zeichenstift wird algorithmisch gesteuert und der Algorithmus ist so abzufassen, dass er tut, was gemeint ist. Eben dafür muss man wissen, was man will und wie es zu erreichen ist. Verändert man die Parameter bei der Eingabe, so erhält man ein anderes Ergebnis. Man kann so zu einem vorgegebenen Thema eine große Anzahl von Variationen erzeugen und damit dieses Thema spielerisch eingrenzen und ausschöpfen. Es entstehen dann Serien von Bildern und Bildersequenzen, die aufeinander Bezug nehmen, ein Thema, das sehr spannend sein kann. Hans Dehlinger
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