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Ein Interview mit dem Künstler

Dr. Dr. Ifragmi: Herr Lüdicke, ich möchte einmal mit einer ein wenig provokanten Frage beginnen - wie sind Sie dar­auf gekommen, als Künstler aufzutreten und sich auch noch am Ausstellungswesen zu beteiligen?

L.: Darauf antworte ich mit einer Gegenfrage. Warum sollte ich kein Künstler sein? Schauen Sie sich doch einmal um: Kennen Sie überhaupt noch jemanden, der kein Künstler ist? In diesem Land werden doch beispielsweise täglich viel mehr Aquarelle, insbesondere mit Tulpenvasenmotiven und Pappelalleenmotiven, produziert, als die Autoindustrie am Fließband Personenkraftwagen herstellen kann. Es gibt auch so gut wie keine Gaststätte mehr, die ihre Gäste nicht mit im Zigarettenrauch verschwommen sichtbaren Wand­ kunstwerken erfreut.

Dr. Dr. Ifragmi: Das ist wohl eine sehr persönliche Ansicht der Dinge. Wie ist das überhaupt: Sie sind doch von Ihrer Ausbildung her Grafik-Designer und arbeiten sehr häufig für Werbeagenturen. Haben Sie nicht Schwierigkeiten damit, sozusagen gleichzeitig kommerziell und auch künstlerisch tätig zu sein, das Amphibolische liegt doch nicht jedem?

L.: Ganz im Gegenteil. Körperlich bin ich nichtsehr gelen­kig, mir würde kein Spagat gelingen, auch ist es mir nie­ mals gelungen, ein anständiges Rad zu schlagen. Geistig gelingt mir ein Spagat besser, außerdem hat man doch auch zwei Hirnhälften, und es ist ohnehin mein Hobby, zwi­ schen mindestens zwei Stühlen zu sitzen. Oder, um eine andere Metaphrase zu benutzen: Wenn man zwischen zwei feindliche Linien gerät, wird man erzwungener maßen beweglicher, als wenn man sich auf einer Seite, womöglich noch auf der falschen, in den nichtschützenden Schützen­ graben eingräbt.

Dr. Dr. Ifragmi: Haben Sie Vorbilder?

L.: Aber ja. Zum Beispiel den spanischen Künstler Mariscal, der Einkaufstüten und Anzeigen gestaltet, Comics zeichnet, Restauranteinrichtungen entwirft und Kunstobjekte baut. Auch Leute, die nicht nur als Maler, sondern auch als Lyri­ker auf hohem Niveau leistungsfähig sind, wie zum Beispiel Markus Lüpertz, schätze ich hoch ein. Meine Lieblinge sind einfach die sogenannten Zehnkämpfer der Kunst, weil es keine Fachidioten ihres Metiers sind, es gibt unter Künstlern genau so viele Fachidioten wie in anderen Berufen.

Dr. Dr. Ifragmi: Entstehen Ihre Bilder spontan oder sind sie geplant?

L.: Sie werden spontan geplant. Denn je intensiver ich über mögliche Bildmotive nachdenke, um so weniger fällt mir etwas ein. Den Entschluss, überhaupt ein Bild zu erstellen, erzeuge ich zuerst einmal dadurch, dass ich in einem be­ kannten schwedischen Möbelhaus einen oder mehrere Bil­ derrahmen kaufe, und zwar immer im Format 70 x 100 cm, die ich dann an die Wand lehne und die mich ständig auf­fordern, sie zu füllen. Über Themen denke ich kaum nach, ich warte, bis sie sich mir aufdrängen, zum Beispiel ent­ stand das Bild "Dicke Rippe - zarte Brustspitzen" an der Fleischtheke im Supermarkt. Oder nehmen wir das Textbild "Aneckendes Rundschreiben" - es entstand, als ich wieder einmal von einem Mitmenschen, nach meinem subjektiven Gefühl jedenfalls, mit einer Unverschämtheit versorgt wur­ de. Mit diesem Bild wird eine Einnahmen/Ausgaben­ berechnung der Beleidigungen, die einen Menschen im alltäglichen Leben treffen, in diesem Fall am Beispiel mei­ ner Person, durchgeführt. Zu jedem dieser Themen notiere ich dann in den nächsten Wochen vereinzelte Gedanken auf vereinzelten Zetteln, die ich aber dann beim Beginn der eigentlichen Bilderstellung nicht wiederfinde.

Dr. Dr. Ifragmi: Sie haben einmal in einem Artikel, den außer mir wohl niemand gelesen hat, geschrieben, für Sie sei, ganz im apollinairschen Sinne, die Qualität der Ausfüh­rung eines Kunstwerks weniger wichtig als die Idee ...

L.: Allerdings. Maltechniken kann man lernen, das Ideen- finden scheint mir schwieriger zu sein, vielleicht akzeptiert auch nicht jeder so ohne weiteres, dass man Ideen auch an einer gutsortierten und ständig auf Frische hin überprüften Fleischtheke mitnehmen kann, siehe oben.

Dr. Dr. Ifragmi: Gibt es denn noch wirklich neue Ideen? Sind die Probleme, die das menschliche Dasein betreffen und das Umgehen der Menschen miteinander, nicht seit Jahrtausenden immer die gleichen, abgesehen davon, dass man sie seit kurzem mit elektrischem Licht ausleuchten und im Fernsehen betrachten kann?

L.: Als Kind und auch noch als Heranwachsender, so mit 30 bis 40 Jahren, hatte ich immer den entmutigenden Ver­dacht, dass es angesichts von Milliarden Menschen in Ver­ gangenheit und Gegenwart nicht möglich sei, eine einiger­maßen neuartige Idee zu entwickeln, die nicht Dutzende, Hunderte, Tausende oder alle anderen Menschen auch schon hatten. Zur Zeit glaube ich jedoch daran, dass es Einfälle gibt, die so originär wie Fingerabdrücke sind, was allerdings noch lange nichts über die Güteklasse dieser Ein­fälle nach EU-Norm aussagt, auch Fingerabdrücke sind nur schwer zu bewerten, obwohl sie in jedem Fall eine unum­strittene Einmaligkeit besitzen.

Dr. Dr. Ifragmi: Streben Sie nach Ruhm? Möchten Sie in einem Atemzug mit den Großmeistern der Kunst genannt werden? Ist es dass, was Sie antreibt?

L.: Die Beantwortung dieser Frage ist mir etwas peinlich, aber wenn ich einmal meine gespielte Bescheidenheit, für deren perfekt-unauffällige Darstellung ich eigens mehrere Abendkurse belegt habe, hinten an stelle, lautet die Ant­wort natürlich: Ja. Und das, obwohl schon der römische Philosophenkaiser Mark Aurel sich vor ca. 1819 Jahren über

diejenigen lustig machte, die auch noch bei ihren Nachfah­ren berühmt sein wollten, die sie naturgemäß nie kennen ­lernen konnten. Richtig berühmt werden ja auch nur noch Mittelstürmer, DJs, Serienhelden und Talkmaster. Künstler aber haben in den seltensten Fällen vorgedruckte Autogrammkarten. Aber zur Not genügt auch eine gewisse künstlichkünstlerische Berühmtheit im Familienkreis, und es ist doch ein angenehmer, wärmender Gedanke, wenn die Nachfahren durch Familienüberprüfung darauf beharren, einen zu seiner Zeit als Künstler bekannten Urgroßvater aufweisen zu können, es macht ihnen Mut fürs laufende Leben, und dem verstorbenen Urgroßvater schadet es auch nicht mehr. Das ist jedenfalls besser, als wenn sich Familien durch Selbsthypnose erst mühevoll berühmte Vorfahren nachträglich heranzüchten müssen, wie man es immer häu­figer beobachten kann, sozusagen eine rückwirkende gei­ stige Genmanipulation.

Dr. Dr. Ifragmi: Warum haben Sie sich denn ausgerechnet der Computerkunst zugewandt? Sie hätten doch eventuell auch ein bekannter Öl- oder Acrylkünstler werden können, Herr Lüdicke?

L.: Ich wollte immer gern auf irgendeinem Gebiet ein Pio­nier sein. Ich hoffe auch, dass mich die Beschäftigung mit dieser jungen Kunstrichtung ein wenig jünger erscheinen lässt, als ich es in der sogenannten Wirklichkeit bin. Ein weiterer Vorteil ist auch, dass ich nach der anstrengenden Arbeit an einem Bild nicht mehr aufräumen muss. Betrach­ ten Sie doch das Atelier eines herkömmlichen Künstlers: Er muss jedes mal mindestens 50 Farbtuben zuschrauben und, grobgeschätzt, 4 bis 5 Pinsel auswaschen - und wie sieht der Fußboden aus ... Ich drücke nur die Austaste und gehe mit steifen Schritten nach Hause.

Dr. Dr. Ifragmi: Haben Sie mit Ihren elektronischen Kunst­ werken, die ja immer sehr narrativ angelegt sind, erreicht, was Sie erreichen wollten? Möchten Sie mit Ihren künstleri­ sche Aussagen den Menschen etwas auf ihren Lebensweg mitgeben?


L.: Wenn ich ihnen nur etwas auf den Nachhauseweg mit­geben kann, will ich zufrieden sein. Spätestens 12 Minuten nach dem Erreichen und gleichzeitigen Einschalten des hei­mischen Fernsehgerätes sollte jeder froh sein, wenn er noch seinen Namen kennt, wie eine von der Bundesregierung in Auftrag gegeben aktuelle Studie belegt. In jedem Fall habe ich erreicht, dass mir beim elektronischen Kunstwerken die Lebenszeit schneller verging. Außerdem kann ich durch meine Fähigkeit, elektronische Bilder erstellen zu können, sehr gut von meinen Unfähigkeiten, das reale Leben betref­ fend, ablenken: Ich bin als Heimwerker denkbar unbegabt, meine Dübel halten nicht lange, außerdem gehöre ich zu den schlechtesten Rückwärtsfahrern Deutschlands, ich kom­me kaum jemals aus der Garage heraus, ohne anzuecken. Ich versuche sozusagen nach dem lateinischen Sprichwort "ARS LONGA VITA BREVIS", "Die Kunst ist lang, das Leben ist kurz" zu leben. Es geht mir um die Überwindung des Alltags durch die scheinbar wichtige Überwindung von künstlerischen Problemen hinsichtlich Wort und Bild.

Dr. DR. Ifragmi: Für diese Gespräch möchte ich mich bedanken.

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