_ Titelsite Übersicht Künstlerkomentar biografie

Initiierter Stillstand - Stillleben John Jeff Corners

Die Kunstgattung Stillleben leitet sich begrifflich aus dem holländischen "Still Leven" ab, was soviel wie unbewegliches Modell heißt. Das Stillleben ist formal die bildhafte oder skulpturale Darstellung arrangierter Gegenstände, die der kunstgeschichtlichen Entwicklung entsprechend, in ihrer Bildaussage vom symbolischen bis hin zum gegenstandslosen Bildgefüge reichen können. Stillleben sind statisch, in dieser Gattung geschieht qua Definition nichts. Stillleben erscheinen deshalb in unseren hochenergetischen, dynamischen Industriegesellschaften anachronistisch. Im Kontext permanenter Reizwechsel und zunehmender Aufsplittung kultureller Sinnhorizonte wirken Corners Bilder fremdartig und künstlerisch unmodern. Die Bildform selbst ist inzwischen die Domäne der Printwerbung, in der das klassische, bildnerisch-kompositorische Know-how für die Präsentation von Produkten genutzt wird.

Corner beschäftigt sich seit circa zehn Jahren mit dem Thema Stillleben und benutzt dafür die modernsten Gestaltungsmittel. Vor allem in seinen ersten Bildern erinnert vieles an sein großes Vorbild Giorgio Morandi. Dieser Großmeister des Genres nahm die banalen, ihn umgebenden Gegenstände seines Haushalts zum Anlass von Malerei. Er bemalte sogar seine Objekte, um anschaulich vor sich zu haben, was er malen wollte. Corner nimmt das Prinzip auf, weitet aber das Verfahren mit Hilfe moderner Technologie aus, indem er im Rechner alles konstruiert und so zu einer Bestimmung von (virtuellen) Gegenständen allein zum Zweck seiner Bilder kommt. In seiner Arbeit ist nichts authentisch, alles ist Konstrukt. Er löst sich dabei stilistisch gänzlich von den gängigen "Visual Effects", verspiegelter Hyperrealismus interessiert ihn nicht. Das Arrangement von Oberflächen und Lichtverhältnissen fixiert er nicht sklavisch auf die Simulation von Realität. In manchen, besonders den frühen Arbeiten findet sich sogar die für CAD typische Facettenhaut ungeschönt auf den Objekten und verweist augenfällig auf die künstliche Konstruktion. Doch Corner geht noch weiter. Die virtuellen Gegenstände überschneiden sich in den frühen Arbeiten manchmal leicht, stehen schon mal etwas schief oder schweben ein wenig, wenn es der Komposition dienlich ist. In seinen neusten Werken löst er sich nun endgültig und demonstrativ von einer naturalistischen Bildlogik. Die Dinge werden verbogen, zerdreht, ineinander geschoben, bis sie der Komposition genügen.

Alles in Corners Bildern ist bis ins Letzte in der Wirkung für die Bildfläche kontrolliert. Dabei hielt sich Corner lange Zeit in der Formfindung relativ eng an bekannte Gegenstandstypen. Natürlich war er dabei nicht an die physikalischen Gesetzmäßigkeiten gebunden. Doch die Erkennbarkeit der Form als Gefäß etc. erlaubt ihm mit den Grenzen derselben zu spielen und Gewohntes zu hinterfragen. Besonders in seinen neueren Arbeiten wird deutlich, dass Formfragen, hier die Untersuchung dessen, was an der Grenze zwischen banaler, funktionalen Sinn suggerierender und freier, nur dem Bildzweck unterliegender Form wahrnehmungspsychologisch passiert, ein sehr komplexes, hochinteressantes künstlerisches Problem darstellen. Solange er seine Bilder im Wesentlichen aus dem tradierten Formenkanon zusammensetzte und diesen Rahmen nur minimal durchstieß, war die Irritation innerhalb der Gattung Stillleben leicht darstellbar. Mit zunehmender Auflösung dieser semantisch-syntaktischen Beziehungen, also der Aufgabe der zeichenhaften Erkennbarkeit von bekannter Dinghaftigkeit zugunsten der freien Figuration gerät diese Zuordnung ins Wanken. Die eben noch aus der Norm gerissen wirkende Form einer Vase, Flasche oder Dose verliert ihre grenzüberschreitende Funktion und damit die Qualität, abgestumpfte Wahrnehmung in Frage zustellen. Diese Bilder gleiten zusehens hinüber zu freien, gegenstandslosen Kompositionen. Dass Corner diese Grenze bislang nicht gänzlich überschritten hat, zeigt sein deutliches Gespür für die Problematik, dass sich die Spannung seiner Bilder primär aus der minimalen Abweichung vom Gewohnten ergibt. Er demonstriert damit subtil, dass sich Widerspruch und Erkenntniswille nur dort regen kann, wo die Deformation als Divergenz zum Normalen gerade eben noch erkannt werden kann. Wird diese Grenze überschritten, verliert das Dargestellte die Potenz, zu provozieren und etwas inhaltlich in Frage zu stellen. Gegenstandslos sind Corners Bilder also im doppelten Wortsinn nicht.

Betrachtet man den gängigen Einsatz von Computeranimation in der Werbung und Massenunterhaltung mit ihren immer irrwitziger werdenden, sich gegenseitig übertrumpfen wollenden visuellen Effekten, rasanten Kamerafahrten, hyperrealistischen zyklopischen Kyborgs und gigantisch proportionierten Models, dann wird die inhaltliche Dimension von Corners Arbeit evident: Mit dem Medium der alles möglich machenden Virtualität Stillstand festhalten, minimale Irritationen einstreuen, Künstlichkeit herausarbeiten und dem omnipräsenten Bildflackern rasender Medialität einfach den Rücken zuwenden. In der Tat eine romantische Perspektive.

Gerd Struwe

 

.
_ Titelsite Übersicht Künstlerkomentar biografie