zurück zum Index
Anmerkungen zu einigen Problemen künstlerischer Computernutzung      
(Aus: Katalog Computerkunst ‘92)      
 

Seitdem es möglich ist, mit Computern Bilder zu erzeugen, gibt es Spekulationen und Vorstellungen darüber, wie die Kunst mit dem Computer zu sein hat und was die Maschine bewirken wird. „Sie wird die Kreativität des Menschen herausfordern und ihn dazu befähigen, sich dem kosmischen Horizont anzupassen, der sich für ihn öffnet“ (Franke 1984, 43). Auch von den Möglichkeiten, durch die Computer Kunst und Technologie, Künstler und Industrie zusammenzubringen, ist die Rede (vgl. Claus 1985, 10f). Inzwischen sind sie Realität, die schönen neuen Möglichkeiten, die der Computer den Künstlern eröffnen soll. Elektronische Bauhäuser sogenannte Medienhochschulen schießen aus dem Boden, Satellitentelekonferenzen sind Bestandteil modernen multinationalen Managements, interaktive Medien schulen z.B. Autoschlosser und virtual reality verhilft angehenden Flugkapitänen und Militärpiloten zu gefahrlosen Flugstunden. Doch auffälligerweise nutzen Künstler die neuen Möglichkeiten noch nicht allzu häufig, obwohl der Computer wie die Werbegrafik- und Filmbranche und die Demonstrationen bei „Kunst & Technologie“ Veranstaltungen zeigen, als bildnerisches Werkzeug sehr weitreichend einsetzbar ist. Bei genauerer Betrachtung der künstlerischen Ignoranz verschwindet die Verwunderung freilich rasch und weicht der Einsicht, daß es mehr als genug hochentwickelte Medien gibt, die sich künstlerisch sogar leichter und billiger als Computer nutzten lassen. Bedenkt man, daß die traditionellen künstlerischen Techniken im Kunstgeschäft durchgesetzt und in ihrer jeweils spezifischen Eigenarten von den technischen Medien insbesondere durch die Computertechnologie nicht ersetzt werden können, warum sollten Künstler dann nach digitalen Medien drängen? (top)

Da Kunst untrennbar mit der visuellen Verarbeitung und Gestaltung der Welt zu tun hat, kommen die Künstler natürlich nicht um die Auseinandersetzung mit einem so dominanten, zunehmend die Medienrealität bestimmenden Bildmedium wie dem Computer herum. Die vorherrschende Reserviertheit von Künstlern gegenüber dem neuen Werkzeug ist aber nicht ungewöhnlich. Verfolgt man die vergleichbare historische künstlerische Auseinandersetzung von der Fotografie über Film bis hin zu maschinellen und elektronischen Medien zeigt sich deutlich, daß bevor es zur praktischen Nutzung kommt, erst einmal eine reflexive, oft kritische Annäherung bevorzugt wird. Die künstlerische Zurichtung der Medien vollziehen eher an der Technik selbst interessierte Erfinder und Tüftler, die experimentell praktisch damit arbeiten, ohne dabei ausgesprochen Kunst zu beabsichtigen.

Für die Zurückhaltung der Künstler bei der praktischen Nutzung der Computertechnologien muß es Gründe geben. Üblicherweise werden dafür erst einmal technisch formale Probleme als Ursache in den Vordergrund gestellt. Oft genannte Argumente für die künstlerische Reserviertheit sind, die optische Beschränktheit der visuellen Schnittstellen, die hohen Kosten für die Gerätschaften und das für Künstler ungewohnte, streng rationale Vorgehen beim Programmieren. Aus dieser auf die Perspektive technischer Leistungsfähigkeit einschränkten Problemsicht ergibt sich eine häufig diskutierte Zwischenlösung, die darin besteht, daß Künstlern, denen es an Gerätschaften und an einer informatischen Ausbildung fehlt, mit Informatikern und Ingenieuren kooperieren. Kunst und Wissenschaft, die zwei Bäume der Erkenntnis sollen so in einer Technokunst wieder zusammenwachsen (Vgl. Franke 1987, 150ff oder Piene, 267ff). (top)

Betrachtet man die bislang präsentierten aus dieser Symbiose hervorgegangenen Ergebnisse, zeigt sich ein auffälliger Mangel an künstlerischen Problemstellungen. Viel eher finden sich dagegen Ansätze, einer experimentell formalen Entwicklung des Mediums. Ein grafisches Exempel dieser Kategorie ist die visuelle Forschungsarbeit und Produktentwicklung eines Teams um Andy Kopra (vgl. Katalog: Ars Elektronika 1988, 89ff). Für die Computeranimation läßt sich John Lasseter und die Firma Pixar anführen (vgl. Katalog: Ars Electronica 1990, 112ff). Auch wenn Programmentwickler wie Copra oder Lasseter mit ihren prämierten Arbeiten neue ästhetische Möglichkeiten demonstrieren, fehlt ihren Arbeiten doch die künstlerische Dimension. Von der algorithmischen Erfassung von Oberflächenstrukturen und natürlichen Bewegungsvorgängen sind zwar naturwissenschaftliche und technische Erkenntnisse und auch künstlerisch nutzbare Werkzeugeigenschaften ableitbar, aber freie künstlerische Gestaltung mit diesen medialen Möglichkeiten muß mehr leisten, als Zeichentrickkitsch und geometrische Effekte. Den die rechnergerechte dreidimensionale Erfassung der sichtbaren Welt löst ebensowenig bildnerische Problemstellungen wie die Erfindung des Borstenpinsels. (top)

Sieht man das Problem des zurückhaltenden Medieneinsatzes durch Künstler einmal von künstlerischen Problemstellungen her, stellt sich die Einseitigkeit der bislang vorherrschenden technischen Perspektive besonders deutlich heraus. Denn es ergibt sich aus künstlerischer Sicht kaum eine Notwendigkeit dazu, Medien zu nutzen, die man nicht hat oder nicht bedienen kann. Und selbst wenn ein Künstler mit einem Computer arbeitet, wird er das Medium nur so weit nutzen, wie es ihm zugänglich und für seine Idee brauchbar ist. Die ingeniöse Position verliert vollends an Gewicht, wenn man das vorherrschende Bild des Gegegenwartskünstlers dagegenhält. Dann zeigt sich nämlich, daß kaum noch Technologiefachleute, als vielmehr zunehmend Technologie- und Gattungsdenken durchbrechende Kunstspezialisten am Werk sind. Aus diesem zeitgenössischen künstlerischen Rollenverständis heraus wäre es also angebracht, sich als Künstler auf konzeptionelle Arbeit zu beschränken und im Bedarfsfall Programmierern und Ingenieuren entsprechende Aufträge zu geben. Wie es praktisch gemacht wird, zeigen Projekte von Christo oder Nam Jun Paik. Das schließt natürlich nicht aus, daß Künstler - besonders wenn sie es sich nicht leisten können, Aufträge zu vergeben - sich das Computerbedienungswissen aneignen.

Nachdem nun einige Gründe aufgezeigt wurden, die plausibel machen, warum Künstler sich nicht auf die rationalisierende Maschine stürzen, soll nun gezeigt werden, in welcher Weise künstlerische Problemstellungen mit dem Computer bearbeitbar sind. Denn es gibt durchaus Künstler, die sich schon lange in diesem Metier bewegen. Der bekannteste computernutzende Künstler ist Manfred Mohr. Er hebt sich zwar nicht aus der Menge der Künstler aber aus der Menge der Computerbildmacher hervor. An Mohrs Bildern zeigt sich, wie man für künstlerische Probleme beschreibbare Lösungen - also Algorithmen finden kann. Doch sind nicht der Algorithmus und die Umsetzung in ein Programm, sondern die fertigen Bilder kunstrelevant. Sie zeigen, daß es primär um die konsequente Bearbeitung von bildnerischen Problemen wie Komposition und Bildstruktur geht (vgl. Katalog Bilder Digital, 121ff). Der Computer und Programmierkenntnisse werden von Mohr nicht zur Visualisierung von mathematischen Experimenten genutzt, sondern als Werkzeug für die Bildherstellung. Am Beispiel Manfred Mohr zeigt sich eine - wenn auch inzwischen nicht mehr zwingende, dennoch typische - Voraussetzung künstlerischer Computernutzung, seine spezifischen Bildthemen sind berechenbar. Wer wie er an konstruierbarer geometrischer minimalistischer Malerei arbeitete, kann mit dem Computer relativ einfach bildnerisch arbeiten. (top)

Mohr verwendet den Computer als Maschine zur konstruktiven Errechnung von Bildideen. Eine andere künstlerische Methode zeigt Michael Badura. Er geht nicht von der Bildidee aus, sondern sucht die direkte analytische Auseinandersetzung mit dem Medium. Er hat sich auf die beschränkten Möglichkeiten eines Bürocomputers mit Matrixnadeldrucker und dessen frei programmierbare Zeichenmatrix eingelassen und die damit erzeugbaren Texturen und programmierbaren spezifischen Bildformen herausgearbeitet. Sein „Nadelwald“ aus bedruckten Papierfahnen stellt somit eine der benutzten Geräteanordnung spezifisch entsprechende Bildform dar, die wesentlich überzeugender ist, als die vielen Versuche, dieser Konfiguration etwas zu entlocken, was wie herkömmliche Malerei, Zeichnung oder Fotgrafie aussieht (vgl. Katalog: artware 1988).
Badura nutzt den Computer also nicht wie Mohr, mit Bildvorstellungen die sich algorithmisieren lassen, sondern entwickelt aus programmierbaren Strukturen eine spezifische künstlerische Ausdrucksform.

Mohr und Badura stellen Kunstwerke her, die ohne den Computer anders aussehen würden oder nicht zustande kämen. Die Auswahl der Technik nach künstlerischen Problemstellungen ist in beiden Fällen offensichtlich. Die Künstler haben ihre Idee nicht dem Medium untergeordnet, sondern haben es benutzt. Vollkommen durchschaubar wird diese Zugangsweise bei der zunehmenden Anzahl von Bildermachern, die mit Computerprogrammen, die traditionelle materielle Gestaltungsmittel simulieren und kombinieren, experimentieren und arbeiten. Joel Slayton kombiniert exemplarisch elektronische Zeichnung, Malerei und Fotografie (vgl. Katalog: Bilder Digital, 89). Arthur Schmidt malt informelle Bilder mit seiner Computeranlage (vgl. Katalog: Ars electronica 1991, 49f). Sieht man sich diese computerunterstützt gestalteten Bilder an, fällt zunächst auf, daß sie sujetmäßig konventionellen Gemälden entsprechen. Sie wirken also nicht ausgeprägt computerspezifisch. Zwar zeigt auch hier die genauere Betrachtung, daß durch den Computereinsatz medientypische bildnerische Dimensionen ins Spiel kommen, die mit anderen Mitteln nur sehr umständlich oder überhaupt nicht erreichbar wären, dennoch diese Künstler unterscheiden sich von Ihrem gestalterischen know how nicht grundlegend von Malern, Zeichnern und Grafikern (vgl. Struwe 1992). (top)

Vergleicht man nun Bilder die programmiert wurden, mit denen, die interaktiv mit Anwenderprogrammen hergestellt wurden, zeigt sich deutlich, daß die programmierten Bilder nicht so komplex strukturiert sind wie die computergemalten Bilder. Daraus läßt sich folgern, daß die gestalterischen Fähigkeiten und ästhetischen Urteilskriterien des Künstlers sich der Algorithmisierung und Automatisierung dort entziehen, wo eine nicht genau bestimmbarer Grad an Bildkomplexität und Unregelmäßigkeit überschritten wird. Eine etwas genauere Darstellung des formalen Unterschiedes zwischen künstlerischer Programmierung und Programmnutzung soll die dahinter verborgene Problemstellung verdeutlichen. Die Anwender von Bildgestaltungsprogrammen lassen den Computer nicht ein ganzes Bild auf einmal ausrechnen, sondern sie arbeiten interaktiv mit vorgegebenen, relativ vielfältigen Gestaltungsoptionen, so daß der Rechner immer in kleinen Schritten analoge Anweisungen ausrechnet und das Ergebnis präsentiert. Die Programm-Maler müssen ihren Kunstprozeß also nicht algorithmisch antizipieren, wie es ein Programmierer muß, sondern sie arbeiten sukzessiv bildzustandsreferenziell wie ein Maler. Eine Beschreibung dieser Arbeit ist sicher Schritt für Schritt möglich und ließe sich so auch in ein Programm übertragen. Da eine solche Folge von Anweisungen aber noch nicht die hinter dem künstlerischen Prozeß verborgene Regel darstellt, wäre dieses Vorgehen relativ unsinnig. Denn die Programmierung wäre nichts weiter als die Versprachlichung von gestalterischen Abläufen. Die Beschreibung künstlerischer Gestaltung per Programm wird also erst sinnvoll, wo Regeln künstlerischer Arbeit umgesetzt werden können. Nur wenn viele Gestaltungsschritte zu einem Algorithmus zusammengefaßt werden können, kommt die Funktion des Rechners zum tragen. Doch gerade diese Algorithmisierung des Gestaltungsprozeß stößt bei komplexen Bildzusammenhängen an die Grenzen des Rationalen. Die Programmierung wird also dort hinfällig, wo die Arbeit nicht rationalisierbar aber durchaus mit Anwenderprogrammen umsetzbar ist. (top)

Die künstlerische Computernutzung läßt sich also kaum an einer speziellen Nutzungsweise festmachen, weil die Maschine zu universell und der künstlerische Prozess zu komplex ist. Jeder Versuch, die Komplexität der Maschinennutzung als Maßstab für Kunst einzuführen, muß scheitern, weil sich daraus keine qualitativen ästhetischen Kriterien ableiten lassen. Denn wenn Bilder oder Filme mit dem Computer gemacht werden, verschwindet der Herstellungsprozeß weitgehend hinter dem Ergebnis. Ein Gattungsstreit zwischen Programmierern und Anwendern ist deshalb vollkommen überflüssig, auch und besonders im Vergleich zu traditionellen Medien (vgl. Reck). Computererzeugte Werke, seien sie nun programmiert-generiert oder computerprogrammgemalt, sollten, wenn sie mehr als technische Demonstration sein sollen, qualitativ mit konventionell hergestellter Kunst mithalten können. Die Bearbeitung bildnerischer Probleme und die Ausweitung des Bildbegriffs interessieren den Kunstbetrachter, nicht die technischen Mittel. Wenn Computeranimationen, sich mit dem konventionellen Kunst- und Experimentalfilm messen wollen, überzeugen auf die Dauer keine technisch bravourösen Effekte, sondern nur die Bearbeitung und Lösung künstlerischer Problemstellungen. Auch die wiederbelebte interaktive Kunst wird mit dem Computer nicht lange von der Demonstration technischer Effekte leben können. Es ist der interaktiven Kunst im Bereich kybernetische Plastik, Happening und Kunstaktion bislang kaum gelungen den Massenrezipienten aktiv einzubeziehen und damit das Verständnis der Kunst durch Aktion zu erreichen. Der Reiz des Neuen und technische Probleme verstellen den Blick auf diese Motivationsprobleme, doch interaktive Computerkunst muß diese methodischen Probleme lösen, wenn sie über die bisherigen konventionellen Interaktionskunstformen hinausweisen will. (top)

Die Maschine Computer kann zu unendlich vielen Problemlösungen programmiert werden - doch die Problemlösung selbst nimmt sie dem Menschen nicht ab. Wenn also computernutzende Künstler als solche ernstgenommen werden wollen, sollten sie die Probleme der Kunst aufgreifen und weiterverfolgen.

Gerd Struwe


Literaturangaben:
Jürgen Claus: ChippppKunst, Frankfurt/M, Berlin 1985.
Herbert W. Franke: Computergrafik Galerie, Köln 1884.
Hans Ulrich Reck: Der Streit der Kunstgattungen im Kontext der Entwicklung neuer Medientechnologien. In: Kunstforum International Bd.115 Sept./Okt 1991,81ff.
Otto Piene:
In: Florian Rötzner (H.G.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Frankfurt am Main 1991.
Gerd Struwe: Alte Bilder? - Neues Werkzeug! Die elektronische gemalte Fotografie von Arthur Schmidt. In: Katalog: Junge
digitale Bilderkunst 8: Arthur Schmidt, Leverkusen 1992, 6ff.
Katalog: Ars Elektronica, 1988.
Katalog: Ars Elektronica, 1990.
Katalog: Ars Elektronica, 1991.
Katalog: artware, Hannover 1988.
Katalog: Bilder digital, München 1986.

(top)