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Die Computerkunst ist tot, es lebe die Medienkunst
Überlegungen zur Ausstellungsreihe "Junge digitale Bilderkunst“ 1989-1996
     
(Aus: Computer Art Faszination 1996)      
 

Der Computer ist inzwischen fester Bestandteil aller technischen Bildgestaltungsverfahren. Klassische Fotografie, Video- und Drucktechnik werden immer weiter durch Digitaltechnik ergänzt oder ersetzt. Zu diesem Trend gesellt sich die zunehmende Verknüpfung verschiedener Informationsarten. Den Gipfel der Integration bilden Multimediaproduktionen, in denen Bilder, Filme, Musik, Sounds und Texte aller Art zu komplexen interaktiven Programmen verschmelzen. Diese Entwicklung hat sich auch auf die computernutzende Kunst ausgewirkt. Auch hier wächst seit einiger Zeit unter dem Begriff Medienkunst zusammen, was Künstler mit elektronischen Mitteln produzieren. Erinnern wir uns: Erst Mitte der achtziger Jahre, initiiert vom PC-Boom und der breiten Etablierung leistungsfähiger grafischer Anwendungssoftware, gesellte sich zur bis dahin vorherrschenden, rein algorithmisch erzeugten Computerkunst eine künstlerische Computergrafik, die mit Anwenderprogrammen intuitiv und direkt gestaltet wurde. Diese neue Art des künstlerischen Umgangs mit Computern stellte die Künstler vor eine Reihe ästhetischer Widersprüche, die künstlerische Prozesse auslösten, welche nun zum Abschluß kommen. Im Rückblick auf die bisherigen Ausstellungen der Reihe "Junge digitale Bilderkunst" läßt sich dieser Weg noch einmal vergegenwärtigen und nachvollziehen.(top)

Ein Hauptmerkmal der "Jungen digitalen Bilderkunst" ist, daß die hier gezeigten Künstler/-innen keine Informatiker oder Naturwissenschaftler sind. Die neuen Werkzeugeigenschaften des Computers ermöglichten es traditionell ausgebildeten Künstler/-innen, auf ihr bisheriges zeichnerisches, malerisches, fotografisches oder filmerisches Werk direkt aufzubauen. Ein aus der Befreiung vom Algorithmisierungszwang resultierendes, durchgängig feststellbares Phänomen ist der rasant zunehmende Pluralismus der Bildstile. Die Bilder der Algorithmiker sind dagegen, verglichen mit freier Gestaltung, extrem formalistisch und bildnerisch von geringer Komplexität, so daß es oft schwer ist, typische Künstlerstile festzustellen. Doch dafür sind diese algorithmischen Bilder zweifelsfrei computertypisch. Ein Merkmal, das gemalten Computerbildern in dieser Reinheit fehlt. So ist dann auch nach der Definition der Computerkunstpioniere nur dann etwas Computerkunst, wenn das Produkt algorithmisch beschrieben ist. Diese Kriterium erfüllt Kunst mit Anwenderprogrammen freilich nicht. Die Algorithmik beschreibt hier lediglich die Werkzeugfunktionen, konstituiert aber, einmal abgesehen von spezifischen Effekten, nicht den Bildgehalt. Auch von einer anderen Seite wird die Werkgerechtigkeit in Frage gestellt. Von materiell arbeitenden Künstlern kommt der Vorwurf, daß Computermaler nur glatte, beliebig reproduzierbare Dinge ohne materielle ästhetische Qualität produzierten, die man überdies mit alten Mitteln sogar besser machen könne.(top)

Beide Richtungen der Kritik treffen die wesentlichen Widersprüche der Computermalerei und der künstlerischen Computergrafik. Die computerunterstützte Gestaltung unterscheidet sich zwar von herkömmlichem Vorgehen in vielen Dingen, doch solange man nur das zweidimensional sichtbare Monitorbild oder dementsprechende Prints berücksichtigt, lassen sich diese Computerbilder prinzipiell auch mit konventionellen Mitteln, also ohne Computer herstellen. (Was die technische Lösung nicht unbedingt schlechter macht.) Zielt die Kritik der Materialisten auf die Art des Ergebnisses, berühren die Algorithmiker den Grundwiderspruch. Denn der Computerkunst mit Anwenderprogrammen fehlen bzw. fehlten Programmtools und eine Präsentationsform, die die ästhetische Spezifik digitaler Bilder also Immaterialität, Algorithmik, Interaktion, n-Dimensionalität etc. nicht nur gestalterisch nutzbar sondern auch im Ergebnis spezifisch erfahrbar machen.

Wie mit diesen Widersprüchen künstlerisch umgegangen wurde, läßt sich punktuell an einzelnen Ausstellungen der "Jungen digitalen Bilderkunst" nachvollziehen. Die handkolorierten C64-Grafiken der ersten Ausstellung mit Roland Oesker , die spartanischen Großplakate Anton Bubeniks, die Laser- und Fotoprints von Brünja Wollny, Peter Bergner, Klaus Peter Stanek, Manuela Eckenbach, Günter Schulz und Jens Müller zeugen noch von dem Versuch, traditionelle Bildvorstellungen bruchlos mit dem Neuen Medium weiterzuführen. Doch deuteten sich bei den Künstlern schon spezifische Bildformen an. Exemplarisch finden sich im Oeuvre Anton Bubeniks und in einigen Arbeiten von Manuela Eckenbach ästhetisch eigenständige computertypische Bildeindrücke. Bubeniks Programm- und Bildverfremdungen weisen, weil er bewußt nur mit wenigen und auch nur einfachsten Effekten experimentierte, eine starke grafische Abstraktion gegenständlicher Motive auf. Er gehört mit diesem Ansatz zu jenen, die teilautomatische Gestaltungsfunktionen konsequent disfunktional nutzen und damit zu einer spezifischen Bildform fanden. Manuela Eckenbach ignoriert ähnlich experimentierfreudig die unterschiedliche Bedeutung von Text, Ton und Grafik, fügt diese im Grafikspeicher zusammen und präsentiert diese digitalen Daten direkt als Bild. (top)

Wie man dem Vorwurf fehlender ästhetisch-materieller Konsistenz der Computerbilder begegnet, zeigte Arthur Schmidt. Seine computergemalten, auf bis zu zwei mal drei Meter fotografisch vergrößerten Bilder besitzen eine farbige Wucht und malerische Dichte, die zwar nicht identisch mit materieller Malerei, dieser jedoch in der ästhetischen Wirkung ebenbürtig sind. Übertragen auf das kleinere Format der Druckgrafik zeigten die Bilder von Ingrid Hermentin, Cornelia Halle, Ina Kerkhof , Petra Kessler und Jens Müller, solide perfekte künstlerische Druckgrafik mit Computermalprogrammen hergestellt und mit Computerdruckern ausgedruckt. Die Frage, ob das technische Mittel hier im Vergleich zu konventioneller Druckgrafik angemessen ist, stellt sich bei Arbeiten dieser Qualität nicht mehr.

Speziell mit den Möglichkeiten, 3D-Animationsprogramme zur Komposition zweidimensionaler Bilder zu nutzen, beschäftigen sich Klaus Peter Stanek und Bodo Sperling. Bei Stanek steht dabei die Erzeugung von iterativen Mustern und Objekten durch die wiederholte Verwendung des generierten Bildes als Textur formal im Vordergrund. Sperling dagegen nutzt in der Tradition geometrischer Malerei die Möglichkeit, Räume und Dinge zu konstruieren und zu arrangieren, um flächig-geometrische Bildereignisse mit einer irritierenden Tiefe zu erzeugen. Dabei umgeht er wie Fritz Maats das Problem der reduzierten materiellen Differenzierung der Computerbilder, indem er einige seiner Motive in Acrylmalerei ausführt. Auch Peter Philips überträgt seine Computerbilder auf altem Weg auf materielle Bildträger. Er gestaltet seine ethno-surrealen Bilder allerdings nicht mit hochentwickelten Anwenderprogrammen, sondern ganz bewußt mit einfachsten Mitteln im Computer und druckt sie per Siebdrucktechnik auf flächige und skulpturale Bildträger. Trotz der Rückkehr zu traditionellen materiellen Bildträgern nutzen diese Künstler die Vorteile der computerunterstützten Bildgestaltung für den Entwurf und umgehen die ästhetischen Schwächen, z.B. die geringe Dauerhaftigkeit von fotografischen oder geprinteten Bildträgern. (top)

Fritz Maats zeigte neben seinen Prints und Acrylbildern auch einige "VAUPS". Diese Multimedia-Objekte sind eine Kombination gemalter und elektronischer Bildflächen. Maats integriert dafür in seine Bilder Monitore, auf denen Elemente der gemalten Motive per Computeranimation als Variation gezeigt werden. Er ist damit einer der ersten, die sich intensiv mit dem Problem der dynamischen Potenz des Computerbildes im Zusammenhang mit malerischen Problemen beschäftigt haben. Den umgekehrten Weg ging die Video- und Performance-Künstlerin Jill Scott. Von ihren Videos und Computeranimationen ausgehend, stellte sie mit Hilfe digitalisierter Standbilder eine komplexe Foto-Textinstallation über ihr Filmschaffen zusammen.

Neben der gemalten und gezeichneten entwickelte sich auch die programmierte Computerkunst weiter. Wolfgang Blobel zeigte per Programmanweisung komponierte, geplottete synthetische Landschaften. Hans Dehlinger nutzt dieselbe Konfiguration für ungegenständliche, wie Handzeichnungen wirkende Plots im Großformat. Beide Programmierer nutzen das Medium wie die Pioniere, allerdings zeichnet beide aus, daß sie keine mathematischen Formeln visualisieren, sondern für bildnerische Vorstellungen Algorithmen suchen und Programme schreiben, bis das Ergebnis der Bildvorstellung entspricht. Zu den Programmierern gehört auch der Maler und Bühnenbildner Thomas Hermsdorf. Er zeigte Bilder, die mit einem selbsterfundenen Zeichenprogramm namens "Skizzo" entstanden sind. Formal interessant an seinem Vorgehen ist, daß ihm damit die Verschmelzung von Programmentwicklung und Anwenderprogrammnutzung gelingt. Damit umgeht er das Problem, daß den reinen Anwendern begegnen kann, nämlich, daß sie mit einem zwar komplexen aber ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse nicht beliebig modifizierbaren Werkzeug gestalten. (top)

Am stärksten in der Tradition der Computerkunstpioniere stehen Silke Gutzer und Friedrich Belzner. Beide beschäftigen sich mit programmierter Fraktalgrafik, also mit weitgehend vorgefundenem Formelmaterial, das sie experimentell modifizieren und auf ihre Bildwirkung hin erforschen und arrangieren. Friedrich Belzner hat darüber hinaus für seine Bilder ein spezielles Druckverfahren entwickelt. Seine kleinformatigen Grafiken stellt er mit einem einfachen Nadelprinter her. Er verwendet allerdings nicht das standardmäßige Farbband, sondern handkolorierte Kopierpapiere, die er direkt auf den Bildträger legt, so daß die Nadeln des Printers diese frei aufgetragene Farbe in vielen Durchläufen auf den Bildträger drucken. Er produziert damit echte Originale und zeigt damit einen Weg, Algorithmus und Intuition zu verbinden.

In der Ausstellungsreihe "Junge digitale Bilderkunst" wurden bislang hauptsächlich Tafelbilder gezeigt. Diese materialisierten Computerbilder fügen sich unterdessen problemlos zwischen künstlerische Gattungen wie Zeichnung, Grafik und Foto. Die anfangs erwähnten Widersprüche sind damit zwar immer noch nicht aufgelöst, doch sie spielen eigentlich keine Rolle mehr. Denn die Simulation und Modifikation traditioneller materieller Gestaltungstechniken mit Computertechnologien genauso wie algorithmische Gestaltungsverfahren sind Teile des großen Werkzeugkastens, aus dem sich zeitgenössische Künstler frei bedienen für interaktive Installationen, Cyberspace, Multimedia und Netzwerkästhetik. Alles Dinge, die direkt in Rechnern gestaltet und präsentiert werden, für die Fragen nach dem Original, der Werkgerechtigkeit oder der Gestaltungsweise keine Relevanz mehr haben. Die Hauptentwicklung der letzten Jahre orientierte sich zwar noch an den Möglichkeiten des traditionellen Ausstellungswesen. Doch auch objektbezogene Medienkunstformen von computergesteuerten, z.T. interaktiv nutzbaren Installationen und Skulpturen sind oft nur noch Umbauungen des Rechners und Displayhalters, also künstlerisch nebensächliches Beiwerk. Um sich von diesen materiellen Enviromentzwängen zu befreien, wenden sich die Künstler Multimedia-Produktionen auf CD-ROM und in Computernetzen zu. Diese sind direkt für den Endverbraucher gedacht, verlegen also die Kunstpräsentation in einen beliebiges Computerterminal. Womit die Computerkunst endlich da ist, wo sie hingehört, nämlich in den Computer. Alles in allem hat sich eine unüberschaubare künstlerische Vielfalt entwickelt, die zwar auch noch den tradierten Präsentationsforen verbunden bleibt, sich in weiten Bereichen nun aber anschickt, den materiellen Rahmen zu verlassen, um in die Ortlosigkeit digitaler Öffentlichkeit einzudringen und diese ästhetisch mitzugestalten.

Gerd Struwe

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